
Tagesausflug nach Wiesbaden
20. Mai 2025Diabetes ist mittlerweile zur Volkskrankheit Nummer 1 in Deutschland geworden. Sowohl Typ 1 als auch Typ 2 Diabetiker nehmen rasant zu. Viele Faktoren wie Genetik, Lebensstil, Ernährung und viele andere Faktoren (metabolisches Syndrom) führen dazu, dass in Deutschland aktuell etwa 8,5 Millionen Menschen mit Diabetes leben, wobei rund 2 Millionen davon noch nicht diagnostiziert wurden. Prognosen zufolge wird die Zahl der Betroffenen bis 2040 auf über 12 Millionen steigen. Eine düstere Prognose, die besorgniserregend ist.
Kann man da entgegensteuern?
Gibt es Abhilfen?
Was kann man tun?
Und vor allem, können die Abnehmspritze Ozempic und deren Ableger bei Diabetes helfen?
Um diese Fragen zu beantworten hat sich der VdK Ortsverband Leimen entschlossen den renommierten Mediziner und ausgewiesenen Experten auf dem Gebiet der Diabetologie Prof. Dr. Erhard Siegel zu seinem monatlichen VdK-Stammtisch einzuladen. Prof. Siegel studierte Humanmedizin in Heidelberg, Tübingen und Göttingen. Er habilitierte sich zum Thema „Pathophysiologie und therapeutische Ansätze des hepatogenen Diabetes“ und ist Chefarzt der Abteilung für Gastroenterologie, Diabetologie/Endokrinologie und Ernährungsmedizin sowie ärztlicher Direktor des St. Josefskrankenhauses in Heidelberg.
Gleich zu Anfang seines Vortrags skizzierte Prof. Siegel die Entstehung von Diabetes. Die Entstehung von Diabetes mellitus hängt von der jeweiligen Diabetesform ab. Grundsätzlich geht es bei allen Formen um eine gestörte Regulation des Blutzuckerspiegels – entweder durch Insulinmangel oder Insulinresistenz. Der Typ-1-Diabetes entsteht durch eine Autoimmunreaktion. Die Ursache hierfür ist: Das Immunsystem zerstört irrtümlich die insulinproduzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse. Die Folge: Der Körper kann kein Insulin mehr produzieren. Beginn: Meist in Kindheit oder Jugend, aber auch im Erwachsenenalter möglich (LADA). Auslöser (mögliche): Genetische Veranlagung, Virusinfektionen, Umweltfaktoren. Der Typ-2-Diabetes entsteht durch den Lebensstil und Veranlagung. Ursache: Die Körperzellen reagieren zunehmend schlechter auf Insulin (Insulinresistenz), und später produziert die Bauchspeicheldrüse zu wenig Insulin. Risikofaktoren Übergewicht (v. a. Bauchfett), Bewegungsmangel, ungesunde Ernährung, genetische Veranlagung und das Alter. Meistens beginnt diese Diabetesform ab 40, zunehmend aber auch bei Jüngeren (z. B. durch Adipositas) wird diese Form diagnostiziert. Weniger bekannt und auch häufig ist der Gestationsdiabetes (Schwangerschaftsdiabetes). Ursachen hierfür sind laut dem renommierten Arzt Schwangerschaftshormone, die die Insulinwirkung blockieren. Die Folge daraus ist eine vorübergehende Insulinresistenz. Prof. Siegel nannte als Risikofaktoren: Übergewicht, familiäre Vorbelastung, höheres Alter bei Schwangerschaft.
Eine weitere, eher seltene Diabetesform ist der Typ-3-Diabetes, so der Diabetologe. Selten, z. B. durch genetische Defekte, Medikamente (wie Kortison), Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse hervorgerufen, zeitgleich aber genauso gefährlich wie die anderen Diabetesformen. Prof. Dr. Siegel schilderte danach die Entstehung des medizinischen Präparats Ozempic, welches mittlerweile große Berühmtheit erlangt hat, da es neben der Behandlung von Diabetes auch nennenswerte positive Wirkungen und Erfolge bei Adipositas erzielt hat. Ozempic ist ein Medikament, dessen Wirkstoff Semaglutid ursprünglich zur Behandlung von Typ-2-Diabetes entwickelt wurde. Es gehört zur Klasse der GLP-1-Rezeptor-Agonisten (Glucagon-like Peptide-1), die die Insulinproduktion erhöhen, den Blutzuckerspiegel senken und das Hungergefühl reduzieren. In den 1990er-Jahren entdeckten Wissenschaftler die Bedeutung des Hormons GLP-1, das im Darm gebildet wird und eine zentrale Rolle in der Blutzuckerregulation spielt. Erste Medikamente wie Exenatid (Byetta) wurden ab 2005 zugelassen, mussten aber häufig gespritzt werden und hatten teils kurze Wirkdauer, führte Prof. Siegel weiter an. Das dänische Pharmaunternehmen Novo Nordisk forschte an einer länger wirksamen GLP-1-Variante. Daraus entstand Semaglutid, das nur einmal pro Woche gespritzt werden muss. Nach erfolgreichen Studien zur Blutzuckersenkung und Gewichtsreduktion wurde Ozempic 2017 in den USA (FDA) und 2018 in Europa (EMA) als Diabetesmedikament zugelassen.
Studien zeigten, dass Semaglutid stark appetithemmend wirkt und zu erheblichem Gewichtsverlust führen kann. Dies führte zur Entwicklung einer höheren Dosis des Wirkstoffs für die Adipositasbehandlung unter dem Namen Wegovy. Doch wie muss man sich die Wirkungsweise von Ozempic vorstellen? Prof. Siegel skizzierte diese wie folgt. Bei erhöhtem Blutzucker fördert Ozempic die Ausschüttung von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse – aber nur, wenn der Blutzucker zu hoch ist, was das Risiko für Unterzuckerung senkt. Glukagon ist ein Hormon, das den Blutzucker erhöht. Ozempic senkt den Glukagonspiegel, wodurch weniger Zucker aus der Leber ins Blut abgegeben wird. Dadurch wird die Verdauung verzögert, was zu einem länger anhaltenden Sättigungsgefühl führt und den Blutzuckeranstieg nach Mahlzeiten bremst. Ozempic wirkt direkt im Gehirn auf das Appetitzentrum. Dies führt oft zu verringerter Nahrungsaufnahme und somit zu Gewichtsverlust. Obwohl Ozempic primär für Typ-2-Diabetes zugelassen ist, wird es oft auch zur Gewichtsreduktion verschrieben – insbesondere, wenn Wegovy (höher dosiertes Semaglutid) nicht verfügbar ist. Wie alles in Leben hat auch Ozempic durchaus zwei Seiten, so der Experte. Durchaus überwiegen die Vorteile und die positiven Effekte von Ozempic. Dennoch gibt es auch Nebenwirkungen, die sich in den zahlreichen Studien gezeigt haben. So zählen Übelkeit, Durchfall, Erbrechen, Verstopfung und Appetitlosigkeit zu den häufigen Nebenwirkungen. Zu den seltenen, aber dafür schwerwiegenden Nebenwirkungen zählen hierbei Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung), Gallenblasenprobleme sowie mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Zudem darf das Präparat bei Menschen mit Typ-1-Diabetes, bei bestimmten Schilddrüsenerkrankungen (z. B. medulläres Schilddrüsenkarzinom) sowie bei Schwangeren oder Stillenden nicht eingesetzt werden.
Prof. Siegel wies auch explizit darauf hin, dass Ozempic verschreibungspflichtig ist und sollte nur unter ärztlicher Aufsicht eingenommen werden – auch zur Gewichtsreduktion. Zum Abschluss seines sehr interessanten und informativen Vortrags bot Prof. Siegel jedem Diabetiker und jeder Diabetikerin an, sich bei ihm auf der „Diabetes-Station“ durchchecken und den individuellen (Diabetes-) Status quo feststellen zu lassen. Dies ist die wichtige Basis für den späteren detaillierten Therapieplan. Denn das Wichtigste ist, dass der Diabetes sehr gut eingestellt ist. Nur so ist gewährleistet, dass die Krankheit nicht weiter fortschreitet und somit auch die zahlreichen Begleiterscheinungen wie der offene diabetische Fuß (diabetisches Fußsyndrom), neurologische Erkrankungen (diabetische Neuropathie), Erkrankungen in den Augen (diabetische Retinopathie), Nierenschäden (diabetische Nephropathie), Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Hautprobleme, Zahn- und Mundprobleme sowie psychische Belastungen vermieden werden. Denn Prävention ist immer besser als Rehabilitation, so Prof. Siegel, in seinem Schlusswort.
